• 30.04.2020

„Wertarbeit & Arschlochkonzepte & Brosamen“

Im heutigen Rundschreiben an seine Kollegen betont Ernst Prost, wie wichtig ein funktionierender Wertekompass für Unternehmer ist und dass das unternehmerische Risiko für schlecht bezahlte Angestellte oft höher ist als für Investoren

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

man kann schon mal freihändig Fahrrad fahren. Auch mal ohne Messer und Gabel essen. Aber ohne Hirn und Herz arbeiten sollte man nicht und ein Unternehmen ohne Kompass führen noch viel weniger. Ich meine jetzt nicht den Kompass mit den vier Himmelsrichtungen, sondern den Werte-Kompass mit richtig oder falsch. „Woher soll ich wissen, wie ich entscheiden soll und was ich tun soll?“ Einer meiner Lehrmeister hatte darauf eine einfache Antwort: „Es gibt Dinge, die macht man einfach nicht.“ Im Grunde genommen eine einfache Sache, eine klare Entscheidungsgrundlage und ein gut funktionierender Kompass. Man könnte es auch Gewissen nennen..... Wer die Probe machen will, ob sein Handeln richtig ist, kann auch den Satz heranziehen: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu.“ Manch einer, der schnoddrig und kaltherzig, vielleicht sogar menschenverachtend entscheidet, würde ganz anders vorgehen, wenn es nicht anonyme Menschen, sprich Personalnummern, und als solche lebendiges Rationalisierungspotenzial wären, über deren Schicksal er befindet, sondern Freunde, Verwandte, seine eigene Familie oder er selbst.

Sie merken es – ich bin schon wieder bei Kurzarbeit und Entlassungen und der sozialen Verantwortung von Chefs und Unternehmern. Es handelt sich ja nicht um Zahlen oder anonymisierte Massen. Es geht um Menschen. Und jeder einzelne Mensch zählt. Finanzinvestoren mag diese Betrachtung völlig fremd sein. Einem Unternehmer keinesfalls. Im Gegenteil: Erst kommt der Mensch, dann die Rendite. So denken und handeln WIR. Ich gebe zu, es gehört eine Menge Standhaftigkeit und Prinzipienfestigkeit dazu diese Position nicht aufzugeben. Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Mindestlohn, Leben am Rande der Gesellschaft auf der einen Seite und auf der anderen Seite Gewinne, Profite, Renditen – Millionen und Abermillionen an Euros und Dollars... Und das soll Sinn machen? Ich rede gar nicht von Fairness und Gerechtigkeit, ich rede vom Sinn oder Unsinn innerhalb einer Volkswirtschaft, einer Gesellschaft.  Das „Arschloch-Konzept“, Steuerschlupflöcher und Steueroasen legaler und illegaler Art zu suchen und zu nutzen, setzt dem schändlichen & schädlichen Verhalten einiger Akteure oft genug noch die Krone auf. Ich für meinen Teil möchte nicht als Arschloch sterben.

Es ist ja nicht so, dass diejenigen, die wenig oder nichts haben, nichts leisten oder nichts arbeiten. Mit niedrigen Löhnen und hohen Ausgaben für Miete, Kinder und Familie kann man aber keine großen Sprünge machen und auch fürs Alter nichts zurücklegen. Nicht jede Leistung wird so bezahlt, wie es sich gehört. Zu viel kann von mir aus jeder gerne haben – Neid und Missgunst kenne ich nicht. Aber zu wenig oder gar so wenig, dass er kein vernünftiges Auskommen für sich und seine Familie hat, geht gar nicht. Leistung muss sich lohnen. Gute Arbeit muss gut bezahlt werden. Steuerhinterziehung muss unterbunden und, weil illegal, hart bestraft werden.

Allenthalben hört man ja vom unternehmerischen Risiko. Gibt es ohne Zweifel. Mancher Unternehmer muss Tag und Nacht kämpfen um sich, seine Familie und auch seine Mannschaft durchzubringen. Es gibt aber auch genügend Unternehmen – und keineswegs die kleinsten – bei denen trägt nicht der Unternehmer das unternehmerische Risiko, sondern die Belegschaft.... Wie jetzt in der Krise wieder sehr deutlich zu beobachten ist, werden genau die Menschen, die den Wohlstand des Unternehmens erarbeitet haben, flugs auf die Straße gesetzt, wenn es mal nicht ganz so geschmeidig läuft.... Und wenn es blöd läuft, gibt es nach jahrzehntelanger Unterbezahlung bei der erstbesten Krise den Fuß in den Hintern – für immer... während das unternehmerische Risiko für den Investor darin besteht vielleicht mal ein Jahr keine zweistelligen Millionengewinne, sondern nur einstellige einzufahren. Wie gesagt, es gibt beides – da muss man den Einzelfall genau anschauen. Ich hoffe das machen die Banken und die KfW sehr genau und retten jetzt nicht nur die Großen... und die Lauten...

Immer einen Blick wert ist definitiv der Wert der Arbeit. Und der wird in Gehalt, in Sozialleistungen und in sicheren Arbeitsplätzen ausgedrückt. Keinesfalls darf das unternehmerische Risiko auf die ohnehin schon Schwachen in diesem Spiel abgewälzt werden. Jeder, der an einer Wertschöpfungskette mitwirkt, soll auch seinen Teil an den geschaffenen monetären Werten erhalten. Ich halte gar nichts davon, nur das Kapital zu bedienen und Arbeiter und Angestellte, die genau dieses Kapital durch ihre Leistung mehren, mit Brosamen abzuspeisen. Das wäre ein monumentales Versagen unseres gesamten Wirtschaftssystems und unserer Gesellschaftsordnung.

Soweit meine Gedanken zum morgigen 1. Mai, dem Tag der Arbeit.

Ihr 

Ernst Prost